Retrospektive "Wang Bing: Zeitarbeiten"
„I am just a simple individual who films what he loves to film.“ (Wang Bing)
Trotz dieser bescheidenen Haltung gegenüber dem eigenen Werk und Wirken gilt der chinesische Regisseur Wang Bing heute als einer der wichtigsten Dokumentarfilmer des Weltkinos. Eine oberflächliche Beachtung findet der 1967 im nordwestchinesischen Xi’an geborene Regisseur oft wegen der schieren Länge seiner Arbeiten. Die meisten dauern über zwei Stunden, seine beiden Großwerke Tie Xi Qu – West of the Tracks (2002) und Caiyou Riji – Crude Oil (2008) kommen sogar auf neun und 14 Stunden Länge. Dass dies nichts mit einer Geringschätzung des Publikums und seiner körperlich-geistigen Grenzen zu tun hat, wird deutlich, sobald man sich auf einen dieser Filme einlässt. Wangs Kino ist bei allen formalen Hürden ein sehr direktes, unvermitteltes. Er konzentriert sich in seinen Filmen nicht auf die großen gesellschaftlichen Zusammenhänge, sondern nimmt die kleinste Einheit der Gesellschaft in den Blick: das Individuum. „I do not film society. I film individuals living their everyday lives“, sagt er selbst. Und dieses tatsächliche Leben findet nun einmal nicht in schnellen Schnitten und 90-Minuten-Einheiten statt.
Fernab jeder Ästhetisierung gibt sich Wang voll und ganz dem Lebensrhythmus und den Realitäten seiner Protagonist*innen hin, die er ohne Ausnahme an den Rändern des chinesischen Gemeinwesens, auf der Kehrseite des offiziellen Modernisierungsnarrativs findet: die Überflüssigen in geisterhaften Fabriken, von ihren Eltern und der Welt verlassene Bauernmädchen, ein namenloser Eremit oder burmesische Geflüchtete. Auf diese Menschen lässt sich Wang ein, ihnen folgt er, ihren Geschichten hört er zu, an ihrem Leben nimmt seine Kamera teil. So entstehen keine Sozialstudien, sondern von Empathie und Respekt geprägte dokumentarische Porträts. Auf diese Weise hat Wang dem Dokumentarfilmkino wohl einige seiner eindrucksvollsten Protagonist*innen geschenkt: den einäugigen Schrottsammler Old Du, die immer hustende Yingying oder eben den Man with No Name.
Im Rahmen von "Wang Bing: Zeitarbeiten" werden vier Kinoarbeiten und eine Installation zu sehen sein. Ebenso findet am Samstag, 9. April um 14 Uhr ein Filmgespräch zum Kino von Wang Bing mit Ausschnitten zwischen Wang Bings Produzentin Kong Lihong, dem Filmkritiker Ekkehard Knörer und dem Kurator der Reihe Jens Geiger statt.