Montag 28.04. 22:30 3001-Kino
Mexico – Next Exit
Dagie Brundert & Gabriele Kahnert
D 2007 85 min
Frage: Was haben ein Bankangestellter aus Izhevsk am Ural, ein IKEA-Aushilfsfahrer aus Berlin, eine Hausfrau und ein Karstadt-Hausmeister aus Lörrach und ein Computerlehrert aus Xi’an in China gemeinsam?
Antwort: Sie sind absolut musikbesessen im Allgemeinen und begeisterte Fans der amerikanisch-deutsch-mexikanischen Band CALEXICO im Besonderen.
Matthias Holst ist 32 Jahre alt, lebt in Berlin-Wedding, hat sein Studium mittlerweile aufgegeben und verdient den Lebensunterhalt als Fahrer. Das meiste Geld gibt er allerdings für Musik aus: für CDs und Tshirts seiner Lieblingsbands und vor allem für europaweite Reisen zu deren Livekonzerten: Die wahre Dynamik von Musik, Feindynamik wie Grobdynamik, die kriegt man nur auf einem Konzert mit. Da spürt man die Musik mit dem ganzen Körper – was zuhause nicht geht, weil sich dann die Nachbarn beschweren, lautet eines seiner musik-theoretischen Statements.
Rainer und Angelika Ossowski aus Lörrach, Mitte fünfzig und rein äusserlich fälschlicherweise an innerlich stehengebliebene Hippies erinnernd, haben ihre Leidenschaft für Konzerte dahingehend vervollkommnet, dass sie seit ihrer Ausweisung aus der DDR im Jahre 1976 jedes von ihnen besuchte Konzert aufnehmen. So können sie zuhause den Konzertgenuss mit geschlossenen Augen nacherleben. Kündigt sich die Tour einer ihrer Lieblingsbands an, reicht Rainer ein paar Tage Urlaub bei Karstadt ein und sie fahren der Band hinterher. Dabei sind sie ständig auf der Suche nach neuen, jungen Bands mit ihnen bis dato neuer, unbekannter Musik.
Von solchen Unternehmungen kann Xu Zuowei (30), Universitätsdozent aus Xi’an in Chinas Mitte nur träumen. Erst seit ein paar Jahren hat er die Möglichkeit, über das Internet eine Welt zu sehen und zu hören, die ihm ansonsten verschlossen wäre: I think it’s a tragedy for people like me. We know this world by internet but we cannot touch it. So for me my dream is to go out from here to know more about this world and find more fun. Bis es soweit ist, findet er den Soundtrack für seine Sehnsucht in der Musik CALEXICOs.
Der Hauptpart des Filmes wird von Sergey Nagaev (38) aus Russland eingenommen. Er hat die Band zum ersten Mal im Radio gehört, die ihn so beeindruckt hat, dass er sich noch heute an den genauen Zeitpunkt erinnert: Es war der 10.12.1998 zwischen 22 und 23 Uhr. Auch er hatte berufsbedingt Zugang zum Internet und sich sogleich in die Maillinglist der Band eingeklinkt. Begeistert von der Möglichkeit, über die Newsgroup Konzertmitschnitte zu bekommen, sitzt er zu Beginn des Filmes zuhause in Izhevsk und ist zufrieden damit und stolz, seinen persönlichen Schatz zu verwalten: Eine Box mit 192 Konzertmitschnitten von CALEXICO. Bis eines Tages einer seiner Freunde ein Livekonzert der Band in Frankreich erlebt und ihm begeistert davon erzählt. Da beschliesst Sergey, dass es vielleicht doch an der Zeit ist, Izhesk, das er bis dahin noch nie verlassen wollte, den Rücken zu kehren und sich westwärts aufzumachen, um einmal CALEXICO live zu erleben. Dass das nicht so einfach ist, merkt er ziemlich schnell. Die deutsche Botschaft in Moskau – immerhin eine 18stündige Reise mit dem Zug entfernt – verweigert ein Visum, andere Botschaften ebenso. Am Ende einer langen und erschöpfenden Odyssee muss er sich eingestehen, dass sein Traum zunächst zerplatzt ist. It was a fetish but i wanted to see them, sagt er rückblickend. Wie es ihm dann doch noch gelingt, was er dabei erlebt und welche neuen Träume ihm sich dadurch auftun, ist der „rote Faden“, der den Zuschauer durch den Film führt.
Musik ist Auslöser und manchmal auch Erfüllung von Sehnsüchten, und Sehnsucht ist einer der Katalysatoren, die den Menschen dazu bringen, den eingetretenen und bequemen Lebenspfad zu verlassen und etwas Neues zu wagen. So bezieht sich der Titel des Filmes CALEXICO NEXT EXIT einerseits auf das real existierende Strassenschild, welches dem Reisenden anzeigt, dass er an dieser Stelle den geraden Highway verlassen muss, um in die kalifornisch-mexikanische Grenzstadt CALEXICO (Namensgeber für die Band) zu gelangen. Der Titel steht aber auch für einen Film, der ganz unterschiedliche Menschen aus aller Welt zeigt, die ihren persönlichen EXIT über die Musik gefunden haben.